Korczaks Brille
Korczak hatte wahrscheinlich mehrere Brillen. Die Brille, die am 5. August 1942 vom Erzieher des Waisenhauses, Herrn Misza, gefunden wurde, ist der einzige erhaltene persönliche Gegenstand von Janusz Korczak (Henryk Goldszmit).
Die Geschichte, wie die Brille und die Dokumente von Korczak nach der Deportation aus dem Waisenhaus gerettet wurden, ist allgemein bekannt. Sie wurden von Herrn Misza am 5. August 1942 nach der Deportation des Waisenhauses in das Vernichtungslager Treblinka gefunden und mitgenommen.
Korczaks Brille und andere persönliche Gegenstände wie sein Tagebuch und andere Texte wurden aus zwei Koffern unter dem Bett des Arztes in einen großen Koffer umgepackt. Nach Einbruch der Dunkelheit gingen die vier Überlebenden der Deportation zu Fuß über die Brücke zum Großen Ghetto.
Herr Misza, beschrieb diesen schrecklichen Tag, Mittwoch, den 5. August 1942, so:
„Korczak verabschiedete uns wie immer früh am Morgen, wenn wir zur Arbeit gingen. Als wir auf dem Weg zur Arbeit das Ghettotor passierten, stellten wir fest, dass das Ghetto von Militär- und Polizeikräften umgeben war, darunter auch die berüchtigten brutalen lettischen Einheiten. Ohne weiter darüber nachzudenken, gingen wir versammelt und bewacht zur Arbeit in der Listopada-Straße Nr. 21, auf der anderen Seite der Weichsel, in Praga. Dort arbeiteten wir am Bau einer Lagerhalle auf dem Gelände einer ehemaligen polnischen Militäreinheit, deren Gebäude noch heute existieren. Die Arbeitsgruppe aus dem Ghetto bestand aus deutschen Juden, Herrn Misza – Michal Wasserman Wróblewski und drei Jungen, ehemaligen Schülern aus dem Waisenhaus Korczak. Normalerweise gingen sie durch eines der beiden Ghettotore in der Nähe des Krasiński-Gartens. Anschließend gingen sie die Miodowa-Straße entlang, über die Krakowskie Przedmieście und dann über die Kierbedzia-Brücke über die Weichsel nach Praga. Von der Brücke aus folgten sie der Zygmuntowska-Straße bis zur Targowa-Straße. Nach einiger Zeit kamen sie an der Listopada-Straße an.
Der Weg zur Arbeit auf der Baustelle in der Listopada-Straße in Praga war beschwerlich, besonders in Arbeitsstiefeln und mit leerem Magen. Zur Arbeit 5 km und nach der Arbeit wieder 5 km nach Hause ins Ghetto!
So beschreibt Herr Misza seine Rückkehr ins Waisenhaus:
„Wir, Dawidek, Jankielek, Moniuś und ich, kehrten um sechs Uhr abends in das Ghetto zurück. Wir hatten die gekauften Lebensmittel bei uns. Die Straßen des Kleinen Ghettos waren völlig still, ohne Leben, Straßen, die immer voll und laut waren. Wir hielten dies für ein Zeichen einer Katastrophe. Auf dem Heimweg nach Sienna erhielten wir die Information, dass die Deportation stattgefunden hatte. Das Waisenhaus war leer. Auf den Tischen standen Teller und Tassen mit zu wenig getrunkenem Tee.
Ich betrat das Zimmer von Korczak, einen fensterlosen Raum, den er mit mehreren kranken Kindern teilte. Sein Bett und die Betten der Kinder waren durch kleine grüne Leinwände getrennt. Korczaks Draht-(Metall-)Brille lag auf dem Tisch. Daneben stand eine Karbidlampe, in deren Licht er seine Beobachtungen über Kinder und sein Tagebuch schrieb.
In zwei kleineren Koffern unter dem Bett von Korczak befanden sich verschiedene Dokumente. Ich habe sie alle in einen größeren Koffer gepackt. Vom Nachttisch habe ich auch seine Brille und einige Papiere genommen.“
Im Schutze der Dunkelheit überquerte Herr Misza und drei ehemalige Schüler die Brücke zum Großen Ghetto und versteckten sich bei einem ehemaligen Schüler des Waisenhauses, Felk Grzyb. Dawidek, Jankielek, Moniuś und mein Vater lebten mehrere Monate lang zusammen. Ihr letztes gemeinsames „Quartier“, wie mein Vater ihre Wohnorte nannte, befand sich in der Ostrowska-Straße im Großen Ghetto. Wer die Dokumente vom Großghetto auf die arische Seite rübergeworfen hat, weiß Herr Misza nicht mehr. Herr Misza ging mit den ehemaligen Schülern noch einige Monate lang zur Arbeit nach Praga, bis er sie dazu überredete gemeinsam aus dem Ghetto zu fliehen.
Das Tagebuch, die Brille und andere Dokumente erreichten offenbar sieben Tage nach der Deportation des Waisenhauses nach Treblinka, am 12. August 1942, Igor Newerly auf der anderen Seite der Mauer.
Dieser brachte die Sachen in das Waisenhaus „Nasz Dom“ wo sie bis zum Kriegsende eingemauert wurden.
(Genehmigte Übersetzung des Berichts von Roman Wassermann, dem Sohn von Misza Wassermann von seiner Seite.)